Donnerstag, 28. Januar 2016

#11 Halbzeit!?

Vor über einer Woche hieß es für mein Austauschjahr: Halbzeit!
5 1/2 Monate sind wirklich wie ein Wimpernschlag vorbei.
Naja das kommt darauf an wie man es betrachtet. 
Manchmal gibt es im Leben eines Austauschschülers Phasen, in denen man sich wirklich die Zukunft herbeiwünscht und sich eine Woche so langsam zieht wie ein Kaugummi.
Aber dann schaut man zurück und denkt sich nur: Wo eigentlich meine ganze Zeit, die ich hier hatte, hin? Habe ich sie richtig genutzt? Könnte ich sie besser nutzen?
Ich erinnere mich noch, dass ich mir in dem ersten Monat in Brasilien gedacht habe:
Oh Gott, wie sehr würde ich mir die Hälfte des Austauschjahres jetzt schon herbeiwünschen.
Dann würde ich mich schon verständigen können, hätte ein Sozialleben, es wären nur noch 5 1/2 Monate bis ich meine Familie und meine Freunde in Deutschland wieder sehe, ...
Jetzt bin ich hier angelangt und denke mir:
Ich möchte auf keinen Fall diese verlorenen Anfangsgefühle zurück.
Ich bin wirklich froh die erste Hälfte gemeistert zu haben, jetzt kann ich die Zweite um so mehr genießen.

Mit dem Portugiesisch läuft es (meiner Meinung nach) super!
Es gibt nur noch einige wenige Worte im Alltag, dessen Bedeutung ich noch nicht weiß,
ich kann ohne Probleme Filme, Serien, YouTube-Videos und Novelas (Brasilianische Soap-Operas) auf Portugiesisch anschauen und verstehen, 
ich kann mich wie ein normaler Teenager auf Portugiesisch über meine Gasteltern aufregen (mit meiner Gastschwester und Freundinnen), 
ich habe kein Problem mehr damit alleine raus zu gehen, weil ich mittlerweile nach dem Weg fragen kann und die Antworten auch verstehe, 
ich fange an den Text der brasilianischen Musik zu lernen und mitzusingen, und und und ...

Meine Gastschwester ist für mich meine Ansprechpartnerin in der Familie geworden. 
Sie war zu Anfang sehr schüchtern mir gegenüber, aber mittlerweile rede ich mit ihr über alles und sie versucht mir immer bei Problemen mit meinen Gasteltern zu helfen. 

Seit dem 8. Dezember habe ich endlich Ferien!
Dadurch, dass die deutschen Sommer- sowie Herbstferien für mich ausgefallen sind, war ich nach den ersten 4 Monaten echt fertig mit der Welt.
Alles war neu, ich musste alles auf einer Sprache, die ich zu Anfang noch nicht sprach, klären, ich musste mich einleben, habe einen Kulturschock durchlebt.
Aber jetzt endlich Sommerferien! 

Laut meiner Direktorin habe ich das Schuljahr bestanden, was ich allerdings sehr stark bezweifele, weil ich mich definitiv nicht für die Schule ins Zeug gelegt habe (das heißt überhaupt nichts gemacht haha). 
Also durfte ich am nach dem letzten offiziellen Schultag nach Hause gehen. 
Die, die nicht bestanden haben mussten bei einer sogenannten "Recouperação" bleiben, d.h. noch eine Woche Unterricht und danach eine Woche Prüfungen, um die fehlenden Punkte aufzuholen.
(Das Schuljahr fängt in Brasilien im Februar an und hört Ende November/Anfang Dezember auf.)

Am Anfang der Ferien sind wir mit meinem Gastonkel und meiner Gasttante zu ihren Verwandten in den Norden Paranás - etwa 5 Stunden Autofahrt entfernt - gefahren.
Dort haben wir ein Wochenende in einem 3800 Einwohner Ort Guapirama verbracht.
Es ist wie wirklich abgeschottet von der Welt, auf dem Land in Brasilien.
Sie haben 2 Pizzerien in der "Stadt" und einen Supermarkt, das Abwasser wird mit einem Traktor, der einen Tank hinter sich herzieht von jedem einzelnen Haus abgeholt und es ist so sicher dort, dass sie nachts die Türen sogar unabgesperrt lassen können.

Das weihnachtliche Gefühl, das man in Deutschland so hat, ist in der Vorweihnachtszeit hier so gut wie gar nicht rüber gekommen.
Zwar hat meine Gastmutter das Haus so extrem, wie in amerikanischen Filmen geschmückt, wir hatten als Weihnachtsbaum einen echten Pinheiro (eine Nadelbaumart, die hier in Paraná sehr häufig ist), aber ich habe definitiv die Kälte, den Weihnachtskalender, den Adventskranz und meine Familie vermisst.
Weihnachten selbst war dann eher eine Show und ganz viel Essen.
Mein Gastonkel hat sich an Heiligabend bei 30 Grad in ein Weihnachtsmann-Kostüm gesteckt und für jeden aus einem großen Geschenkesack für jeden Kleinigkeiten herausgeholt.
Nach der Reihe musste sich jeder einmal auf seinen Schoß setzen, er hat gefragt ob man in letzter Zeit denn "ein gutes Kind war" und dann wurde von jedem ein Foto mit ihm geschossen.
Sowie an Heiligabend, als auch am 1. Weihnachtsfeiertag gab es ein großes Festessen mit der gesamten Familie.

Ein paar Tage danach sind wir dann schon nach Matinhos ins Strandhaus gefahren, um dort Silvester zu feiern.
Im Endeffekt sind wir dort für 3 Wochen zusammen geblieben, ich habe viel Zeit mit meinen Gastgeschwistern, meiner Gastcousine und meinem Gastcousin verbracht, wir sind tagsüber an den Strand, haben viel Açai gegessen und sind nachts oft weggegangen. 
Wie zum Beispiel an Silvester nach dem Familien-Teil, wo es mein Gastcousin mit dem Alkohol ein "bisschen" übertrieben hat.
Unter Jugendlichen wird in Brasilien genauso getrunken wie in Deutschland.
Sie präferieren allerdings Wodka mit Soft-Dinks und Caipirinha.
Bier ist überhaupt nicht üblich, genauso wenig wie Wodka pur.
Außerdem sind die Eltern in Deutschland, was Trinken unter Jugendlichen betrifft, eher entspannter als die Eltern hier, habe ich so das Gefühl. Vielleicht mag es daran liegen, dass jeglicher Alkohol in Brasilien erst ab 18 ist und die Jugendlichen unter 18 von ihren Eltern noch wie ihre kleine Babys behandelt werden, aber das schreckt die Teenager hier genauso wenig zurück wie in Europa.

Anfang Januar bin ich dann mit meinen Gastgeschwistern + Cousine + Cousin zur Show von Thiaguinho (ein brasilianischer Sänger) gegangen, die mit erwachsener Begleitung ab 16 und alleine ab 18 war.
Mein Gastcousin war an diesem Tag noch 14, und ich bin 15, aber die Türsteher sind auf jeden Fall sehr gelassen gewesen und haben uns, trotz unserer durchschaubaren Notlügen, reingelassen.

Am 18. Januar bin ich zurück nach Curitiba gefahren, aber das auch nur weil ich am 20. mit BeloBrasilTours für 5 Tage nach Rio de Janeiro gereist bin!
Ich kann definitiv sagen, dass das eine der besten Tage waren, die ich hier in Brasilien verbringen durfte!
Mit fast 70 anderen Austauschschülern sind wir in einem Hotel - ein paar Blocks von der Copacabana entfernt - geblieben und hatten eine wunderschöne Zeit!
Es war super Interessant die Erfahrungen mit den anderen Austauschschülern zu vergleichen und herauszufinden, dass (zumindest den Leuten aus dem eigenen Land) ungefähr die gleichen Dinge aufgefallen sind.
Zu Anfang ist es mir fast schon schwer gefallen mich auf Deutsch zu unterhalten, weil ich die Reaktionen auf Portugiesisch schon total drin habe.
Mit den Austauschschülern aus den Ländern habe ich mich überwiegend auf Portugiesisch unterhalten, weil es mir mittlerweile viel einfacher fällt zu sprechen als das Englische hahah.
Die einzigen, die Probleme damit haben Portugiesisch zu lernen und die nach 5 Monaten immer noch so gut wie nichts sprechen sind die Asiaten und die US-Amerikaner.
Bei den Asiaten versteh ich es ja noch mehr oder weniger (obwohl sie Englisch sprechen und somit unser Alphabet eigentlich beherrschen müssten), aber das mit den US-Amerikanern habe ich nicht verstanden.
Es war auch ein Mädchen aus dem englischen Teil Kanadas dort, die ohne Probleme Portugiesisch gesprochen hat, also habe ich sie mal gefragt woran das liegt das die Leute aus den USA kein Wort sprechen.
Ihre Erklärung war, dass sich US-Amerikaner im Innern immer ein bisschen besser als andere Nationen fühlen und dann mit der Einstellung in andere Länder reisen, dass der Rest der Welt ja Englisch sprechen muss bzw. kann, weil es die Weltsprache ist.
Das mag ja schön und gut sein und in vielen Orten der Welt auch stimmen, allerdings lernen sie mit dieser Einstellung halt keine Fremdsprache.
Nun zurück zum Eigentlichen der Reise:
Wir haben eine historische Stadttour gemacht, sind ins Fußballstadion Maracanã, in dem Deutschland die Weltmeisterschaft gewonnen, gegangen, haben die Escadaria Selarón (eine sehr berühmte, künstlerisch geflieste Treppe in Rio) besucht, sind auf den Zuckerhut (Pão de Açúcar - wörtlich übersetzt Zuckerbrot) gefahren, haben eine Tour 
durch die Favela Santa Marta gemacht (das ist eine Favela in der Frieden herrscht,
d.h. es laufen keine Leute mit Waffen rum;
Drogenhandel existiert allerdings immernoch und das konnte man an der ein oder anderen Ecke auch
sehen), 
haben den früheren Militärs-Posten an der Spitze der Bucht bei der Copacabana besucht, 
sind zur Christus-Statue hinauf gefahren (mit einem wunderschönen Ausblick über die ganze Stadt,
genauso wie auf dem Zuckerhut) und haben den letzten Nachmittag am Strand von Ipanema verbracht
und danach einen Funk- und Samba-Tanzkurs bekommen!

Ich habe dadurch auch ein paar Austauschschüler, die in Curitiba leben, kennengelernt, von denen ich vorher ja keinen einzigen kannte.
Es war eine wunderschöne Reise und ich bin so dankbar, dass ich diese machen konnte! 
Danke, Mama und Papa!! ♥

Das ist alles was ich bis heute zu erzählen habe.
Einen wunderschönen Tag ♥
Beijos Ina


Graffiti in Rio

Im Fußballstadion Maracanã 


Bei der Escadaria Selarón

Blick auf Rio bei der Zwischenstation zum Zuckerhut

Blick aus der Gondel auf den Zuckerhut

Ein Graffiti, das die Favela "Santa Marta" darstellen soll

In der Favela "Santa Marta" mit dem Blick auf Rio de Janeiro

1996 hat Michael Jackson in dieser Favela den Clip zu
"They Don't Care About Us" gedreht, also wurde,
als er gestorben ist, ein Platz mit seinem Namen im Zentrum der Favela errichtet,
mit diesem Mosaikbild:

Vor der Copacabana von dem Militärs-Posten aus

Vor der Christus-Statue

Ipanema Beach